Nachdem ich im Jahr 2021 ( Al Andalus Ultimate Trail 2021)das erste Mal am Al Andalus Ultimate Trail teilnahm und dieser Lauf in vielerlei Hinsicht mein Leben veränderte, MUSSTE ich einfach wieder dabei sein. Wo mich meine so genannte „Reise des Alchimisten“ wohl diesmal hinführen würde?
Ich reiste einige Tage vor dem Rennen total aufgedreht nach Játar, wo ich seit 2022 meinen zweiten Wohnsitz habe, und packte meine ganzen Sachen zusammen. Ich war sehr gespannt auf das Wiedersehen mit den Läufern, Volunteers und Docs, die ich bereits 2021 kennenlernen durfte. Auch Eric und Michelle, die seit Jahren dieses außergewöhnliche Event mit viel Herzblut organisierten, würde ich wiedersehen. Körperlich sowie mental fühlte ich mich fit und optimistisch. Außerdem war meine Musik-Playlist AAUT II unschlagbar. Was könnte also jetzt noch schief gehen?...
Zur Erinnerung: der AAUT ist ein 234 km-Lauf, bestehend aus 5 Etappen bei Temperaturen zwischen 35 und 40 Grad (oder mehr) ohne Schatten. Geschlafen wird während 4 Tagen in Zelten auf unterschiedlichen Campsites. Kann da was schief gehen?
Am Sonntag war es dann endlich soweit, das Einchecken im Hotel El Mirador in Loja stand bevor. Ich befand mich noch in Játar und wurde immer nervöser. Ich schaute dauernd auf die Uhr, und plötzlich fielen mir immer neue Dinge ein, die ich noch unbedingt erledigen musste… staubsaugen, Wäsche waschen, Geschirr spülen. Hatte mich der Mut etwa verlassen? Kurz vor Mittag fuhr ich dann ganz gemütlich nach Loja und checkte ein. Nachdem ich meine Sachen in mein Hotelzimmer brachte, wollte ich schnell wieder nach unten, um die Läufer zu begrüßen. Dann kam die erste Überraschung. Ich sah einen Läufer, Sascha, auf den ich mich ganz besonders freute, tatsächlich unten in der Hotelbar wieder. Allerdings lag er verletzt auf dem Boden. Er ist leider am Tag vor dem Start während eines Laufes direkt gegenüber dem Hotel sehr unglücklich gestürzt und musste ins Krankenhaus eingeliefert werden. Was für ein Wiedersehen! Wir waren alle sehr betroffen, und es tat mir einfach so aufrichtig leid.
Abends fanden dann noch das erste große Briefing vor dem Rennen und ein gemeinsames Abendessen im Hotel statt. Jetzt blieben nur noch einige Stunden bis zum Startschuss.
Stage 1 oder „Right here, right now”
9:44. „One minute to the start“, ertönte es aus Erics Megaphon, welches uns durch das ganze Rennen hindurch jeden Morgen aufs Neue begleitete. „50 seconds… diez, nueve, ocho, siete, seis, cinco, cuatro, tres, dos, uno…“ (übrigens habe ich mir genau so, mit Erics „Megaphon-Stimme“, die Zahlen auf spanisch einprägen können). Und dann ging es gleich den ersten Anstieg hinauf! Kaum zu glauben, der AAUT 2023 war nun im Gange und ich nahm wieder teil. Right here, right now! Diese Worte aus dem gleichnamigen Song von Fatboy Slim waren mein Motto dieser Edition des AAUT. Fokussieren, mich im Hier und Jetzt bewegen, mich auf den Moment im Lauf konzentrieren und einfach laufen. Daran sollte der Song mich erinnern.
Kleine Zwischenbemerkung: Während des gesamten Rennens wurden Reels erstellt. Ich weiß nicht, wer die Musik zu den jeweiligen Reels auswählte, aber zufälligerweise läuft genau dieser Song im Hintergrund eines Reels, auf dem ich vor dem Start der 4. Etappe vor dem Zelt meine Sachen vorbereite. Und dabei hörte ich auch dieses Lied. Vielleicht verfügt diese Person ja über magische Fähigkeiten… (zum Reel).
Die erste Etappe des AAUT umfasste insgesamt 39 Kilometer und startete gleich mit einem 11-Kilometer langen Anstieg mit ca. 850 positiven Höhenmetern. Landschaftlich gefiel mir diese Etappe besonders gut, sie erinnerte mich an die wüste und steinige Umgebung aus Looney Tunes Roadrunner & Coyote. An dem Tag hatten wir 38 Grad, Schatten war eher eine Seltenheit. Während des gesamten Laufes gab es ungefähr alle 10 Kilometer einen Checkpoint, wo wir mit Schatten, Eiswürfeln, Wasser und Elite (Elektrolyten) versorgt wurden. Und am letzten CP wurden wir sogar mit dem Wundertrunk Cola verwöhnt. Zudem herrschte eine super Stimmung, es wurde getanzt und viel gelacht. Nach 30 km spülte ich einen Becher mit eiskalter Cola herunter und fühlte mich wie im Paradies. Dann ging es weiter Richtung Finish line in Alhama de Granada. Die Strecke führte eine Weile über eine asphaltierte Straße, bevor es an etlichen Olivenbäumen und an einer Olivenfarm entlang ging. Die beeindruckende Sierra, die es am nächsten Tag zu erobern galt, näherte sich immer mehr.
Während den letzten acht Kilometern empfand ich ein sehr starkes Gefühl von Glück und von zuhause sein. Genau im richtigen Moment und an dem richtigen Ort! Im April lief ich mit meinem Partner Mike genau diese Passage, und ich erinnerte mich an diesen Tag und unsere Zeit. Während des ganzen Laufes haben immer wieder solche Erinnerungen an gemeinsame Momente mich motiviert und zum Lachen gebracht. Diese Erinnerungen wurden zu einer Art Fixpunkte.Die Sonne drückte richtig auf den letzten Kilometern. Ich dachte bereits an den Schatten, das Fußbad und den Becher mit Cola.
Dann war ich in Alhama de Granada. Die erste Etappe endete in einem Sportkomplex und unsere Zelte befanden sich mit unserem Gepäck in der Halle. Ich duschte, wusch meine Sachen aus und dann aßen wir zusammen draußen auf der Ladefläche eines Lasters unsere tolle Trockennahrung. An dem Tag fand ich mein selbst gedörrtes Pasta Bolognese-Gericht sogar noch essbar. Aber darauf komme ich noch einmal zurück. Das Thema Essen und Trockennahrung wird nämlich bald dem Lauf eine kleine Wende geben…
Stage 2 oder „Tarzan Boy“vs. Zombie
Nach der ersten sehr heißen Nacht hieß es dann aufstehen und frühstücken. Mein Frühstück bestand aus einer Mischung aus Schokoflocken, Cornflakes, Haferflocken, Kokosflocken, Mandeln und Milchpulver mit Wasser. Klingt gut? Schmeckte gruselig! Ich schaffte es noch gerade, dieses Frühstück runter zu würgen. Das war der einzige Tag, an dem mir das gelingen sollte.
Die zweite Etappe umfasste 48 Kilometer mit 1440 Höhenmetern. Zuerst führte die Strecke durch die Tajos (Schluchten) von Alhama de Granada und dann liefen wir an endlosen Olivenplantagen vorbei nach Játar. Der atemberaubende Berg, den es jetzt zu erklimmen galt, rückte immer näher. In Játar angekommen, ging es dann erst einmal 4 Kilometer bergauf bis zum zweiten Checkpoint. Hier erwartete uns der 800 Meter hohe und 10 km lange technische Singletrail durch den Naturpark und die Sierra Almijara. Diese Passage war sehr kräfteaufzehrend, aber auch atemberaubend schön.
Die Etappe von Alhama de Granada nach Játar war in zweierlei Hinsicht sehr besonders für mich. Erstens stellte Játar nun seit 2022 mein zweites Zuhause dar und das Leben dort war mir sehr ans Herz gewachsen. Die zweite Etappe war also eine Art "Heimspiel". Zweitens hatte ich während des AAUT im Jahr 2021 auf dieser Etappe besonders gekämpft und ich dachte, dass der Lauf für mich dort zu Ende sei, was dann schließlich nicht der Fall war. Auf dem Singletrail zwischen Checkpoint 2 und 3 kam ich damals sehr langsam voran. Ich dachte, ich würde die Cutoff-Zeit nicht mehr schaffen, fing an zu weinen und sah ein großes „Did not finish“ vor mir. Ich hatte mich aufgegeben. Doch dann verspürte ich plötzlich eine unglaubliche Kraft in meinen Beinen und ich rannte bis zum CP 3, den ich 3 Minuten vor der Cutoff-Zeit erreichte. Ich hatte demnach hohen Respekt vor diesem Teil der Strecke und erfand den Mythos vom „Zombie in der Sierra von Játar“, der Läufer fressen will.
Ich musste also wieder da hoch, und diesmal musste ich gut gerüstet sein, damit mir nicht noch einmal das Gleiche passiert wie letztes Mal. Meine Waffe: Tarzan. Moment… ich kann das erklären! Ich suchte mir eine besondere Erinnerung aus meinem Leben aus, mit der ich etwas sehr Positives und Schönes verband. Es handelte sich um eine Erinnerung aus meiner Kindheit an meinen Vater auf einem Rummelplatz. Und mit dieser Erinnerung war natürlich auch ein bestimmter Song verbunden: „Tarzan Boy“ von Baltimora aus den 80ern. Klingt bereits vielversprechend, oder?... „Tarzan Boy“ vs. El Zombie de Játar.
Aber diesmal verlief alles anders als 2021, ich genoss die Strecke nach Játar und lag gut in der Zeit, so dass ich mir keine Gedanken über Cutoff-Zeiten machen musste. Ich erreichte CP2, wo zwei besondere Menschen, Elaine und Arend, auf uns Läufer warteten und uns verpflegten. Ich kannte Elaine und Arend, da sie mich im Vorjahr im Sommer während meinen langen Trainingsläufen in Andalusien begleiteten und unterstützten. Beide kannten meine Geschichte und die Angst, die ich vor diesem Teil der Strecke hatte. Elaine sprach mir Mut zu und drückte mich. Dann lief ich hoch, zusammen mit „Tarzan Boy“. Ich wurde langsamer und einige Läufer liefen an mir vorbei. Ich konzentrierte mich ganz auf die Strecke, die einfach nur schön war. Ich kam an der Stelle „Venta Lopez“ vorbei, zu der ich auch mit Mike bereits gewandert bin. Ich lächelte kurz und bewegte mich einfach nur vorwärts.
Und dann war ich an der besagten Stelle angelangt. Dieser Anstieg! Die Strecke kam mir noch steiler und heftiger vor als beim letzten Mal. Mich überkam das Gefühl, einfach stehen zu bleiben und nicht mehr weiter zu laufen. Ich konnte aber jetzt nicht einfach hier in der prallen Sonne und Hitze stehen bleiben. Aber was sollte ich tun? Sterben, indem ich den Anstieg hochkrieche oder sterben, indem ich in der Hitze brutzele?
Tarzan Boy hatte keine Chance. Zombie knabberte bereits an mir. Ich dachte in dem Moment an gar nichts mehr, ich musste es einfach hier hoch schaffen. Ich stützte mich auf meinen Laufstöcken ab und kroch langsam hoch, paso a paso. Ich lag immer noch gut in der Zeit, und irgendwann war ich dann auch oben angelangt. Nun ging es bergab bis zu Checkpoint 3, wo ich einige Becher Cola herunterschlang.
Es lagen „nur“ noch ca. 17 Kilometer vor mir. Es wurden etwa 2-3 Kilometer mehr, denn ungefähr 4 Kilometer vor CP 4 verlief ich mich, zusammen mit 2 weiteren Läufern. Ich lief an einer Stelle geradeaus anstatt nach links abzubiegen. Der Läufer hinter mir, „Tarmac Tim“ hatte wohl vollstes Vertrauen in meinen Orientierungssinn und so folgte er mir in die falsche Richtung. Als wir oben auf einem Berg standen und keine Markierungen mehr fanden, kam uns eine weitere Läuferin, Maria, entgegen. Wir mussten also wieder zurück. Durch das Stehenbleiben in der prallen Hitze begann ich etwas zu verbrennen und ziemlich heiß zu werden. Es wurde Zeit, an CP 4 zu gelangen, damit ich etwas abkühlen konnte. Diese Kilometer bis zum CP kamen mir einfach ewig lang vor. Ich konzentrierte mich wieder nur auf den Moment. Es hatte keinen Sinn darüber nachzudenken, wie weit der CP jetzt tatsächlich noch entfernt lag. Ich konnte ihn nicht herbei zaubern. Um den CP schnell zu erreichen, hatte ich nur eine Möglichkeit: schnell zum CP laufen! Auch die letzten Kilometer fühlten sich ewig lang an, vor allem die ersten drei Kilometer nach dem letzten CP, wo es noch einmal einige Höhenmeter zu bewältigen galt. Dann erreichte ich endlich Játar. Ich freute mich so, diesen vertrauten Ort zu sehen. Vor allem führte die Strecke quasi bis zur Plaza mit meinem Haus. Das hat mir noch einmal richtig viel Energie gegeben bis zur Finish line!
Mit den Füßen im Wasser, saß ich lange im Schatten und trank Cola. Zu lange. Anstatt zu duschen, zu essen und zur Massage zu gehen. Ab da machte ich irgendwie alles falsch, was ich falsch machen konnte. Die Zeit lief davon. Das Briefing fand bereits statt und anschließend gingen wir gemeinsam ins Restaurant „Los Angeles“, so dass ich die Massage, die ich dringend benötigt hätte, absagte. Trinken, essen und mich im Zelt erholen wäre die bessere Option gewesen. Im Restaurant aß ich etwas Salat und Fleisch. Mehr ging zu dem Zeitpunkt irgendwie nicht runter. Kohlenhydrate? Keine. Während der Nacht bin ich immer wieder aufgewacht, da ich ein Loch im Bauch hatte und hungrig war. Mir fehlten ganz dringend die Kohlenhydrate. Getrunken hatte ich eigentlich auch nicht genug. Aber ich wollte nicht alle aufwecken, indem ich mir jetzt noch etwas zu essen machte. Ich brauchte dafür heißes Wasser, hatte aber keins. Dabei nahm ich extra eine Thermokanne mit, so dass ich auch nachts, falls nötig, meine Trockennahrung zubereiten konnte. In der Theorie war ich super vorbereitet, es war ja alles in meinem Gepäck, welches vor meinem Zelt stand.
Stage 3 oder „I’m Miss Dy-na-mi-tee-tee”
Ich befand mich nach der zweiten Etappe auf Platz 13 overall, und ab Platz 13 startete man früher in der langsameren Gruppe. Ich freute mich darüber. Ich kroch aus meinem Zelt und die Sonne ging gerade auf. Ich wusste, dass man von einem bestimmten Punkt aus die Sierra Nevada in ihrer ganzen Pracht sehen konnte. Ich spazierte dorthin, um den Sonnenaufgang und die Sierra zu betrachten. Dann musste ich essen, ich brauchte dringend Futter. Doch mein Magen war mittlerweile zu angeschlagen, es war eine Mischung aus großem Hungerloch und dem Gefühl, nichts essen zu können. Ich hatte dann die gute Idee, meine Trockennahrung, immer noch Pasta Bolognese, eine Stunde vor dem Lauf zu essen. Besser gesagt, runter zu würgen. Wieder einmal alles richtig gemacht.
Die dritte Etappe galt als die „einfachste“ mit 39 Kilometern und „nur“ 850 Höhenmetern. Sie führte durch den Naturpark La Resinera, von Játar nach Jayena. Eigentlich war diese Strecke, besonders zu Beginn, sehr gut laufbar. Eigentlich. Meine Bauchmuskulatur zog sich dauernd zusammen, so dass ich in der Nabelregion richtige Stiche hatte, und vor allem downhill laufen erwies sich als schwierig. Zudem machte sich die Pasta Bolognese bemerkbar. Jedes Mal, wenn ich an die Pasta dachte, wurde mir speiübel. Nie wieder würde ich diese Pasta essen! Gut, dass ich nur diese Pasta Bolognese als Gericht dabei hatte! Neben der tollen Flocken-Mischung mit Milchpulver. Auch meine Beine fühlten sich wie Blei an. Mir fehlte das Benzin. Oder ich hatte das falsche Benzin zum falschen Zeitpunkt getankt. Jedenfalls hörte ich an dem Tag auf meinen Körper und ich ging ganz viel anstatt zu laufen. Immerhin wollte ich für die lange Etappe am nächsten Tag fitter sein, und mein Bauch ließ sowieso kein schnelles Laufen zu.
Ab Checkpoint 1 ging es dann in den Naturpark La Resinera. Auch dort hatte ich schöne Erinnerungen an eine Wanderung, die ich mit Mike gemacht hatte. An unseren Tourguide „Señor Perro“, einen Hund, der uns durch die Resinera führte und später die Räder meines Autos vollpinkelte, mit dem wir dann durch das Wasser am Eingang des Parks gefahren sind.
An CP2, nach dem längeren Anstieg, musste ich mich hinsetzen. Mein Bauch machte mir immer noch richtig zu schaffen. Auch hier befanden sich besondere Menschen, Duncan und Wanda, die sich ganz lieb um mich kümmerten. Ich ging dann ein Stück mit einem anderen Läufer weiter, der ähnliche Probleme hatte wie ich. Bis CP 3 schaffte ich es, immer wieder ein bisschen zu laufen, ging aber weiterhin sehr viel. Kurz vor CP 3traf ich eine weitere Läuferin, Anita, und wir ruhten uns zusammen am CP etwas aus. Das Medical Team war wie immer super gelaunt und kümmerte sich herzlich um uns. Es lief Hip Hop Musik und aus dem Lautsprecher erklang gerade der Song „Dy-na-mi-tee“ von Ms. Dynamite. Wie Dynamit fühlten sich meine Beine gerade nicht an, aber ich hatte das Lied während der ganzen Strecke im Kopf und sang immer wieder vor mich hin „I’m Miss Dy-na-mi-tee-teeee“, was hoffentlich niemand hören konnte.
Das Medical Team stellte uns allerhand Fragen. Ich nannte sie die „P-Fragen“. Nein, es waren keine philosophischen Fragen, sondern Pee- und Poo-Fragen. Ich muss Dr. Johnny komisch angeschaut haben, denn er erwiderte nur: „Ich muss diese Fragen stellen“. Immerhin hatte ich ja auch diese Bauchprobleme, und gerade unter solchen extremen Bedingungen musste man sehr vorsichtig sein. Die Docs leisteten einfach eine super Arbeit die ganze Woche. Sie waren rund um die Uhr für uns Läufer da, verpflegten unsere Füße, hörten uns zu, kümmerten sich um unsere Beschwerden, sprachen uns Mut zu und waren immer gut gelaunt. Obwohl sie ebenfalls Stunden lang in der Hitze brutzelten. Sie taten alles, damit wir das Ziel erreichten, und dabei mussten sie stets einschätzen, in welchem Zustand wir uns befanden und ob wir weiter laufen konnten.
Und ich konnte weiterlaufen. Mir ging es ja außer diesen Stichen im Bauch und dem flauen Gefühl im Magen gut. Jetzt stand noch ein letzter Anstieg an, bevor die Strecke flacher und kurviger wurde. Der Schluss der Stecke bestand aus einem steinigen Downhill, bevor es ca. 1,5 Kilometer vor dem Finish in Jayena noch einmal kurz bergauf durch dorniges und struppiges Gebüsch ging. Als ich die dritte Etappe finishte, saß ich wieder eine Weile auf einer Bank, die Füße im Wasserbad und trank Cola. Die Chips und das Obst konnte ich immer noch nicht essen. Ich begann in einen sehr eigenartigen Zustand zu verfallen, ich kehrte völlig in mich, was sich sehr friedlich anfühlte. Ich war in meiner Welt, im Hier und Jetzt. Alles andere war mir fern. Auf diesen Zustand folgten dann 5 sehr emotionale Minuten. Michelle schaute mich mit großen Augen an und fragte: „Hast du Schmerzen?“ Ich verneinte mit dem Kopf und weinte weiter. „Ist es nur so ein Moment?“, fragte sie weiter. Ich nickte und versuchte aufzuhören zu weinen. Ich kam mir vor wie die letzte Heulsuse. Es gab ja keinen Grund zum Heulen. Aber irgendwie war gerade alles so überwältigend und es gab so viele Eindrücke, besondere Situationen und Momente auf den letzten Etappen, die eine Gefühlsexplosion in mir auslösten.
Ich duschte und ging zur Massage. Dem super Physio-Team schilderte ich meine Probleme im Bauchbereich. Auch diese beiden Menschen haben großes Lob für ihre Knochenarbeit verdient. Nach der Behandlung waren alle meine Krämpfe in der Bauchregion verschwunden. Ich hatte plötzlich einen riesen Appetit und stürzte mich auf eine große 1 kg Packung Chips, die ich alleine futterte. Die schmeckten einfach nur großartig! Abends gab es dann Salat und Paella. Richtiges Essen, keine Trockennahrung. Und alkoholfreies Bier. Das Abendmahl war ein richtiges Festessen. Ich nahm mir noch etwas Brot mit, damit ich etwas zum Frühstücken am nächsten Morgen hatte. Mit meiner Bouillonsuppe würde das sicherlich besser schmecken als meine Flakes mit Milchpulver und Wasser. In der Nacht schlief ich sogar ziemlich gut. Und diesmal fror ich auch nicht wie beim letzten Mal im Jahr 2021. Immerhin hatte ich etwas richtig gemacht: Ich hatte mein „Hot Bed“ (Schlafsack für niedrige Temperaturen) dabei!
Stage 4 oder Der “Barranco der Erkenntnis"
Wie jeden Morgen kroch ich aus meinem Zelt, es war noch dunkel draußen. Heute starteten wir etwas früher, denn heute war DER Tag. Der Tag der langen Etappe. 67 Kilometer und 1300 Höhenmeter, von Jayena nach Alhama de Granada. Ich liebte die Strecke der 4. Etappe. Sie führte an dem See Los Bermejales vorbei, den man bisher immer wieder am 2. und 3. Tag blau schimmern sehen konnte. Der See wurde sogar in einer Zeitschrift (GEO) als eine versteckte Perle in Spanien bezeichnet. Leider nahm der Wasserpegel in den letzten Jahren kontinuierlich ab.
Vor dem Start frühstückte ich mein Stück Brot, welches ich mir am Vorabend mitnahm, mit Bouillonsuppe. Viel war das nicht unbedingt. So würgte ich noch einen halben „Notfall-Frangipane“ herunter. Seit einigen Jahren habe ich für „Notfälle“ während meinen Läufen immer diesen kleinen Kuchen mit Mandeln dabei, da dieser ultraviele Kalorien enthält und ich diesen normalerweise immer runterbekomme. Ich packte dann meinen Rucksack und meine Sachen zusammen. Dabei filmte Eric mich und es entstand der bereits erwähnte Reel mit dem Song „Right here, right now“ von Fatboy Slim.
Auch die vierte Etappe war wieder eine ganz besondere Etappe für mich. Als ich 2021 am AAUT teilnahm, hatte ich ein prägendes Erlebnis zwischen CP 3 und CP4. Mir wurde auf dieser Etappe soviel bewusst und ich fand ganz viele Antworten auf Fragen, die ich mir lange stellte. Ich bezeichnete diesen Barranco, der sich kurz vor dem Dorf Cacin und CP 4 befand, seitdem als den „Barranco der Erkenntnis“. Ich wollte noch einmal an genau diese Stelle zurück und sie ganz bewusst erleben und kontemplieren.
Ich lief in einem ganz angenehmen Tempo bis zum 2. CP am See Los Bermejales. Nach einer kurzen Erfrischung nahm ich den 7 km langen Anstieg in Angriff. Der hatte es wieder einmal in sich! Dieser Anstieg war in der glühenden Hitze zu bewältigen, was viel Kraft kostete. Aber oben angelangt, konnte ich mich an CP 3 abkühlen und genügend trinken. Die Sonne knallte dann so richtig, und es gab keinerlei Ausweichmöglichkeiten in dem Barranco. Die nächste Abkühl-Möglichkeit befand sich 10 Kilometer weiter in Cacin. Ich hatte jede Menge Eiswürfel in meinem Buff-Tuch, welches ich mit zwei Knoten versah und mir an der Leiste an meinem Startnummer-Gurt befestigte. Meine Beine blieben auf diese Weise richtig kühl, so dass ich nicht überhitzte. Ich kann diesen Trick nur empfehlen, denn es half wirklich. Ab und zu legte ich mein Buff-Tuch mit den Eiswürfeln auch auf meinen Kopf, damit dieser nicht zu heiß wurde.
Ich genoss dieses Stück ausgiebig und nahm die Gegend um mich herum auch ganz bewusst wahr, im Gegensatz zu 2021. An einem ganz bestimmten Punkt konnte ich den Ausblick über ganz Játar und die Sierra, die wir am 2. Tag durchliefen, genießen. Mein Zuhause! Und genau das war auch die Stelle, an der mir 2021 so viele Dinge klar wurden. Ich fühlte mich richtig wohl, und diesmal profitierte ich ausgiebig und machte viele Fotos von diesem Ort, der eine derartige Bedeutung für mich hatte. Als ich beim letzten Mal in Cacin ankam, fühlte ich mich wie in einem Western-Film und in meinem Kopf lief das Lied „L’ Arena“ von Ennio Morricone. Ich erinnerte mich wieder so genau an alles, an die Straßen, die Häuser, das Lied. Aber ich fühlte mich diesmal anders. Klarer.
Dann erreichte ich CP 4. Ich sah Eric und sagte ihm: „Ihr seid verrückt, Leute! Euer Lauf ist einfach nur verrückt!“. Ich träumte seit Stunden von Wasser mit Sprudel, und da sich der CP direkt an einer Bar befand, wollte ich ein Sprudelwasser holen. Kaum hatte ich diesen stundenlangen Traum ausgesprochen, war Eric bereits in der Bar und kam mit einem kühlen Sprudelwasser zurück. Das war ein absolutes Highlight! Ich weiß nicht, ob Eric bewusst war, was genau er in dem Augenblick bewirkte, aber er war in dem Moment der Geist aus der Wunderlampe. Dann gab es eine weitere Überraschung: Die Strecke musste um 5 Kilometer gekürzt werden. Eigentlich waren es „nur“ 5 Kilometer Unterschied, aber wenn man 67 Kilometer in der glühenden Hitze ohne Schatten laufen muss und bereits 3 Tage, 194 Kilometer und fast 5000 Höhenmeter hinter sich hatte, dann klingen 5 km weniger wie eine Erlösung. Ich lief weiter, und die nächste Überraschung wartete bereits auf mich, diesmal allerdings eine weniger erfreuliche.
Nach CP4 führte die Strecke eine Weile über eine asphaltierte Straße, bevor es wieder ordentlich bergauf ging. Plötzlich klingelte mein Handy. Ich ignorierte es, aber es klingelte ein weiteres Mal. Vielleicht war es jemand von der Organisation. Aber es war mein Vater. Ich hatte ein seltsames Gefühl dabei und ich ging ran. Mein Vater fragte, wo ich gerade sei und was ich machte. Seine Stimme klang anders, besorgt und traurig. „Ich bin gerade mitten in meinem Rennen, es ist ziemlich heiß hier, aber mir geht es gut“. Pause. „Oh, tut mir leid. Ich dachte, dein Rennen ist am Montag. Dann leg ich gleich wieder auf“, erwiderte er, immer noch mit dieser seltsamen Stimme. „Ja, das Rennen startete am Montag, es dauert bis Freitag. Aber was ist los?“. Jetzt wollte ich es wissen. Er zögerte eine Weile, dann hörte ich nur ein „…ist tot“. Ich konnte ihn nicht richtig verstehen und er wiederholte seinen Satz noch einmal. Mein Vater teilte mir gerade mit, dass meine Patentante gestorben war und fragte, ob ich am Dienstag bei der Beerdigung dabei sei.
Die Situation kam mir so surreal vor. Ich musste mich richtig konzentrieren, um seine Worte zu verstehen und ihm vernünftig zu antworten. Ich befand mich gerade in einer völlig anderen Welt, und seine Welt war mir so fern. Ich versprach meinem Vater, dass ich am Dienstag bei der Beerdigung dabei sei. Ich legte auf und lief weiter. Mein Kopf war leer. Die Stimme meines Vaters hallte noch etwas nach. Und dann begann der Anstieg. Irgendwie tat es aber gut, seine Stimme zu hören, auch wenn der Grund nicht schön war. Hätte er angerufen, um Hallo zu sagen, wäre es perfekt gewesen.
Ab CP 5 folgte noch einmal ein richtig fieser Anstieg durch Olivenhaine. Ich lief dieses Stück mit „Tarmac Tim“, zusammen hielten wir nach den Markierungen Ausschau, da ich diese häufig übersehen hatte inmitten zahlreicher Olivenbäume. Wir wollten uns nicht noch einmal verlaufen, und sein Vertrauen in meinen Orientierungssinn hatte etwas gelitten. Der Anstieg schien kein Ende zu nehmen, es kam mir so vor, als würden wir schon seit Stunden nur an den gleichen Olivenbäumen vorbeilaufen. Dann erreichten wir die Straße. Endlich flach. Aber dieser Teil bis zum CP 6 war richtig hart. Bei 35-40 Grad (oder mehr) auf einer asphaltierten Straße in der gnadenlosen Hitze zu laufen, war ebenfalls eine große Herausforderung.
Ich schaute immer wieder nach hinten, um zu sehen, ob Tim noch da war. Irgendwie hat mir das eine gewisse Sicherheit gegeben. Auch wenn wir in einiger Entfernung liefen, hatte ich den Eindruck, dass jemand mich begleitete. Bereits einen Menschen zu sehen, verschaffte Abwechslung. Eine weitere Abwechslung stellten die violetten Disteln dar. Schon während meiner ersten Edition hatte ich diese außergewöhnliche, hohe Pflanze bestaunt, mit dieser vollen violetten Farbe und den Dornen. Auch einige Pferde waren zu sehen. CP 6 fühlte sich wie eine regelrechte Erlösung an. Die Volunteers standen mit kühlem Sprühwasser, Eiswürfeln, Wasser, Elite und Cola bereit.
Es ist schwer zu beschreiben, wie sich eine derartige Hitze anfühlt. Man kann dieser Hitze nicht entfliehen, denn es gibt keinen Schatten und man muss einfach weiter. Ich denke, dass genau das die größte Herausforderung dieses Laufes ist. Die Distanzen und die Höhenmeter sind bereits sehr fordernd, aber man muss dieser intensiven Hitze sehr lange standhalten können. Man hat manchmal das Gefühl, dass man auf der Stelle läuft. Sogar der Schatten eines Olivenbaums oder ein kleiner Windstoß kann zum Aha-Erlebnis werden.
Aber jetzt blieben nur noch 8 Kilometer bis zur Finish line. Und die wurden erst lang! Dieses Stück, das mir sonst immer so kurz vorkam wenn ich dort trainiere, wollte einfach kein Ende nehmen. Wie konnte das sein? Sonst bin ich doch immer in 5-10 Minuten oben! Mein Fixpunkt war das Restaurant „El Ventorro“, aber ich konnte dieses Restaurant nicht sehen, auch wenn ich wusste, dass ich mich ihm wohl näherte. Dann erreichte ich endlich die Straße - jetzt geradewegs zum Campsite El Motor in Alhama de Granada. Geschafft!
Abends ging ich zur Massage, wo sich das Physio-Team noch einmal um meine Bauchmuskeln kümmerte. Danach gab es Abendessen, bestehend aus richtiger Pasta und Salat. Ich genoss das Essen, war aber auch richtig müde. Die lange Etappe war tatsächlich geschafft! Eine lange Reise in das eigene tiefe Innere, aber auch eine Reise durch wunderschöne und gnadenlose Landschaften. Trotzdem lag ich quasi die ganze Nacht wach.
Stage 5 oder „The Boy in the bubble” Part II
Nach drei Stunden Schlaf kroch ich wieder wie gewohnt aus meinem Zelt. Jetzt stand erst noch die riesige Herausforderung namens „Frühstück“ bevor. Ich bereitete mir Bouillonsuppe zu. Eine Läuferin, Stella, mit der ich zusammen am Tisch saß, bot mir einen Cappuccino an, den ich dann auch runterbekam. Bouillon und Cappuccino, besser als gar nichts. Und sogar ein Bissen „Notfall-Frangipane“ war drin. Dann ertönte wieder Erics Stimme im Megaphon: „15 minutes to the start. 15 minutes“. Ich war spät dran und geriet etwas in Hektik. Und dann auch noch das! Ich muss wohl den Start-Button meiner GPS-Uhr versehentlich gedrückt haben, so dass meine Uhr die ganze Nacht im Start-Modus war. Ich hatte nur noch 20% Akku. „Two minutes“. Ich schaffte es gerade noch, meine Sachen zu packen und rechtzeitig am Start zu sein.
Die letzte Etappe war 42 Kilometer lang mit 970 Höhenmetern. Es war dieselbe Strecke wie am ersten Tag, nur umgekehrt, also von Alhama de Granada nach Loja. Dies bedeutete, dass der AAUT mit einem 11-Kilometer langen Downhill (ca. 850 Höhenmeter) endete. Es waren mehrere Wolken am Himmel, so dass es im Vergleich zu den vergangenen Tagen kühler war. Die Ausblicke waren einfach traumhaft – der Nebel, die Wolken und die Sierra von Loja. Und die Freude, hoffentlich bald ein Finisher des AAUT 2023 zu sein. Am letzten Checkpoint erwartete mich dann noch eine erfreuliche Überraschung. Doch dazu muss ich noch einmal kurz zur zweiten Etappe aus dem Jahr 2021 zurück.
Als es mir 2021 während der zweiten Etappe nicht so gut ging, fragte mich Dr. James, ob es einen Song gäbe, der mich zum Weiterlaufen motivieren würde. Ich antwortete ihm damals spontan „The boy in the bubble von Patti Smith“. Und jedesmal, wenn ich an einen CP gelang, spielte er mir dieses Lied vor. Nachdem ich auf den „Zombie in der Sierra von Játar“ traf und 3 Minuten vor der Cutoff-Zeit den CP erreichte, spielte mir Dr. James wieder dieses Lied vor und sagte mir, das sei mein Finisher-Lied. Und jetzt, 2023, 11 Kilometer vor der Finish line des AAUT, überraschten Dr. James und Dr. Johnny mich mit „The boy in the bubble“. Wir fingen an zu tanzen, Eric filmte unseren Tanz und gab ihm den Namen „Ultradancing“. (Zum Reel).
Diese Situation spiegelt den Geist und das Herz des AAUT wieder. Die Menschen dort sind mit vollem Herzen dabei, es entstehen Freundschaften und anhaltende Verbindungen. Dieses Lied ist mehr als nur ein „Finisher-Lied“ für mich. Das Lied wurde stellvertretend für Mut und die Kraft, über mich selbst, meine Zweifel und Ängste hinaus zu wachsen. Es wurde damals nach der Edition 2021 das Lied, das mich bei sehr wichtigen Entscheidungen immer im Hintergrund begleitete. Zum Beispiel als ich mich entschied, ein Haus in Andalusien zu kaufen. Das Lied war stets dabei. All das hier ist meine „Bubble“, meine Welt, die mir Frieden schenkt.
Die letzten 11 Kilometer flog ich förmlich die Straße herunter, mein Kopf begann zu hämmern, denn es wurde immer heißer. Aber das hielt mich nicht davon ab, in diesem Tempo weiter zu laufen. Und dann erschien das Hotel El Mirador vor meinen Augen. Nur noch die Straße überqueren und ich würde endlich ein neues Finisher Shirt erhalten. Dieses wurde mir dann von Michelle überreicht, zusammen mit meiner Finisher Medaille. Die „Reise des Alchimisten“ Teil II war zu Ende. Wo hat sie mich hingeführt?
Keine Ahnung. Zu lieben und tollen Menschen, ein Stück weiter zu mir selbst. Zu der Gewissheit, am richtigen Ort zu sein. Genau hier, genau jetzt - "Right here, right now"!