Der 17(Sperr)Stunden Lauf ist aus der Not der Corona-Pandemie entstanden. Wie viele Sportler war ich mit der Situation konfrontiert, dass ein Lauf nach dem anderen abgesagt wurde. Aber trotzdem, wie kommt man auf die Idee, gerade 17 Stunden um den Echternacher See zu laufen?
Das Jahr 2020 fing im Grunde genommen gut an. Voller Elan nahm ich mein Training für meinen ersten 100 Meilen Lauf auf, welcher in der Toskana stattfinden sollte. Da ich bereits 2018 für meinen ersten 100 Kilometer Lauf beim Tuscany Crossing startete und ich total begeistert war vom Val d'Orcia, wollte ich auch diese für mich neue Distanz wieder dort in Angriff nehmen. Der Lauf war Mitte April geplant und wurde aufgrund der Situation abgesagt. Und so ging es dann weiter... Im Oktober schien die Lage allerdings wieder etwas entspannter zu sein, und tatsächlich, der Traildorado 24h Traillauf konnte unter strengen Auflagen stattfinden! Der Haken: Luxemburg wurde drei Tage vorher als Risikogebiet erklärt, so dass ich nicht nach Deutschland reisen konnte. Ich brauchte also wieder einen Alternativplan. So beschloss ich, den Jakobsweg in Luxemburg (176km) nonstop auf eigene Faust zu laufen. Dies erfordert natürlich eine ordentliche Planung hinsichtlich der Stecke und der Verpflegung. Ich brauchte dafür einige freiwillige Helfer für die Verpflegungspunkte, auf die ich mich 100% verlassen konnte. Und da war er, der zweite Haken, und der dritte: Die Restaurants und Cafés wurden im November geschlossen und eine Sperrstunde wurde eingeführt - zu dem Zeitpunkt von 6 bis 22 Uhr. Den Jakobsweg in 16 Stunden laufen... für mich nicht machbar. Zudem ohne die Möglichkeit, in einem Café oder Restaurant etwas zu trinken oder zu essen sowie mit der Ungewissheit, ob die Verpflegungs-Person sich nicht gerade in Isolation oder Quarantäne befand. Aber ich gab nicht auf, ich brauchte eben wieder einen Alternativplan, und zwar musste ich mein Vorhaben jederzeit den neuesten Regeln anpassen können und völlig auf mich alleine gestellt sein. Und so kam mir die Idee, am Wochenende vor Weihnachten (19. Dezember) um den Echternacher See zu laufen. Zu der Zeit wurde auch darüber diskutiert, die Sperrstunde eventuell wieder aufzuheben, so dass ich davon ausging, dass ich 24 Stunden laufen würde. Doch die Sperrstunde blieb bestehen, mit einer Stunde Unterschied. Das bedeutete, ich konnte von morgens 6 bis Abends 23 Uhr um den Echternacher See laufen, ohne fremde Hilfe, allein mit meinem Verpflegungs-Auto auf dem Parkplatz. Da war er also, der 17(Sperr)Stunden Lauf um den Echternacher See.
Ich wollte hierbei die Gelegenheit nutzen, diesen Lauf mit einer Spendenaktion zu verbinden. Ich entschied mich, die Organisation Sportunity mit meinem Lauf zu unterstützen. Da ich jede Menge Rückmeldungen und Anfragen sowohl von Familie, Freunden, Bekannten wie auch Unbekannten bekam, die mich einige Runden begleiten wollten, und zu dem Zeitpunkt nur 4 Personen zusammen laufen durften, musste ich die Leute einteilen. Einige wollten einfach nur vorbei schauen und mich anfeuern, andere einige Runden mit mir gehen oder laufen.
Am 19. Dezember um 6 Uhr lief ich dann am Echternacher See los, in Begleitung von meiner besten Freundin auf dem Fahrrad. Als wir starteten war es noch dunkel und wir erlebten einen wundervollen Sonnenaufgang. Für Dezember waren die Temperaturen noch ziemlich mild und es sollte zumindest tagsüber trocken bleiben. Und so lief ich Runde um Runde... und quasi die ganze Zeit in Begleitung, mit ganz unterschiedlichen, sehr lieben und positiven Menschen. Mir ist eigentlich gar nicht aufgefallen, dass ich die ganze Zeit um den See herum lief. Auch bemerkte ich gar nicht, dass angeblich viele Menschen an dem Tag am See waren und ich mich immer wieder durchschlängeln musste. Ich konnte irgendwie alles um mich herum ausblenden, wobei all die Menschen, die mich begleitet und besucht haben, für mich sehr präsent waren und ich mich auch noch an alle Gespräche und Einzelheiten erinnern kann. Ich habe mich jedesmal so gefreut, insbesondere wenn ich Freunde und Bekannte gesehen habe. Ich laufe ja eigentlich eher allein, ob im Training oder bei einem Lauf. Aber der 17(Sperr)Stunden Lauf zeichnete sich insbesondere dadurch aus, dass all die Menschen, die mich an dem Tag begleitet und unterstützt haben, den Lauf eigentlich mitgestaltet haben und ihn zu der positiven Erinnerung gemacht haben, die ich jetzt habe. Ich weiss nicht, wie ich den Lauf erlebt hätte, wäre ich alleine gewesen. Ich bin tatsächlich nur zwei Stunden allein gelaufen, und ungefähr 15 Menschen haben mich begleitet oder waren einfach da.
Als es so langsam dämmerte und dunkel wurde, fing es dann auch an zu regnen. Die letzten Stunden begleitete mich ein Ultraläufer, der bereits einige Challenges hinter sich hat. Und um 21:30 stand dann mein Partner Mike plötzlich da, um bis zum Schluss mit mir zu laufen. Wegen der Sperrstunde musste mein Begleiter sich auf den Weg machen, und so war ich heilfroh, dass ich die letzte Stunde nicht alleine im Regen und im Dunkeln laufen musste. Laufen fiel mir zu dem Zeitpunkt etwas schwer, denn so lief ich ja die ganze Zeit auf Asphalt, was ich als Trailläuferin überhaupt nicht gewohnt bin und was meinen Körper ziemlich ermüdete. Bereits im Training bin ich überwiegend auf ebenen, ewig langen Fahrradwegen gelaufen, was eine völlig andere Belastung für mich darstellte. Und so ging es langsam dem Ende zu... gegen 22:40 beendete ich meine letzte Runde. Insgesamt lief ich 38 Runden, was 115 Kilometern entspricht. Als ich die letzte Runde beendete und das Auto auf dem Parkplatz sah, streikte mein rechtes Bein. Ich konnte mich plötzlich nicht mehr fortbewegen, so dass ich mich regelrecht mit Mikes Hilfe zum Auto schleppen musste und kaum einsteigen konnte. Aussteigen und Schuhe ausziehen war dann noch schwieriger. Aber nach 2 Tagen war alles wieder vergessen, die Beine fühlten sich wieder gut an. Realisiert habe ich eigentlich bis heute nicht, dass ich tatsächlich so lange um den See herum gelaufen bin. Vielleicht spielte das "Wo" auch gar keine Rolle hier. Nach all den Lockdowns, den Einschränkungen und dem Alleinsein war wohl das "es ist" wichtiger, das heisst die Tatsache, überhaupt mein Vorhaben ohne weitere neue Einschränkung umzusetzen, einfach zu laufen, mich frei zu bewegen, und dies sogar mit anderen Menschen zusammen, 17 Stunden lang. "Es ist", es findet statt - nicht abgesagt wegen Covid. Und wer weiss, vielleicht hole ich die fehlenden 7 Stunden ja noch einmal nach und laufe dann die 24 Stunden um den See. TBC :-)