Die Idee, den Camino de Santiago de Compostela in Luxemburg (180km und 2.800 Höhenmeter) nonstop zu laufen, entstand im Jahr 2020 während der Corona-Pandemie, als alle meine Läufe abgesagt wurden. Doch es kam immer irgend etwas dazwischen, so dass sich mein Plan wiederholt hinausschob: Sperrstunde (Ausgang von 23h00-6h00 untersagt), Quarantäne, Zerrung nach einem Lauf…
Aber Ende September 2023 war genau der richtige Moment. Ich wusste es einfach und fühlte es: Genau jetzt! Und bereits vorweg: Es war ein unglaublich, intensives und emotionales Erlebnis.
Drei Wochen davor startete ich, wie jedes Jahr, beim Ultra Trail Mullerthal. Die 112km waren ein perfektes Training für mein Vorhaben, den Jakobsweg nonstop zu laufen. Ich bereitete alles genauestens vor, jeden Teil der Strecke ging ich gründlich durch und plante meine Pausen und Verpflegungen. Auch die Zeiten legte ich bereits im Vorfeld fest. Sie schienen mir allerdings etwas optimistisch. Aber ich dachte mir, dass das schon irgendwie machbar sein wird. Ich verband meinen Lauf auch mit einer Spendenaktion für ASA Honn, eine gemeinnützige Organisation, welche Assistenzhunde sponsort und finanziert.
Ich startete den Jakobsweg am 29. September mittags um 12 Uhr in Lieler, dem Dreiländereck. Zuerst ging es durch den Norden von Luxemburg, welcher geprägt war von Tannen und Schieferstein. Dann lief ich am Ourtal entlang über Vianden, am Schloss vorbei. Dort wurde ich eine Weile von einem Läufer begleitet. Das Wetter war durchwachsen, und als es dunkel wurde, begann es zudem stark zu regnen. Die erste Pause legte ich nach ca. 68km bei mir zuhause in Echternach ein. Mein Partner Mike wartete in der Fußgängerzone auf mich und ich lief an der Basilika vorbei. Ich war ziemlich durchnässt, nahm eine warme Dusche, aß etwas und lief weiter auf dem Mullerthal Trail Richtung Jakobsberg, wo der Ultraläufer Claude Stiefer mit dem Camper auf mich wartete. Er sollte mich nachts begleiten, da ich etwas Angst hatte, die ganze Nacht alleine unterwegs zu sein. Doch dann teilte mir Claude ein paar Tage vor dem Start mit, dass er stark erkältet sei und nicht mitlaufen könne. Er begleitete mich aber dafür die gesamte Nacht mit dem Camper und wartete alle 5-6km an bestimmten Stellen.
Die ganze Nacht war geprägt von starkem Nebel und dem Vollmond, so dass ich die Kopflampe ausschalten musste, da ich ansonsten nichts sehen konnte. Außer ziemlich vielen leuchtenden Tieraugen konnte ich nicht viel erkennen. Und ab und zu flog mir eine erschrockene Eule über den Kopf. Es war richtig unheimlich. Doch ich überwand meine Ängste und lief einfach, durch den Wald, über endlos scheinende Feldwege. Ich versuchte, nicht an „Blair Witch Project“ & Co zu denken. Ich muss zugeben: Ich hatte manchmal richtig die Hosen voll. Da ich immer wieder schnell zum Camper gelangen wollte, gab ich etwas Gas, so dass ich gut in der Zeit lag und meine Zeitbarrieren einhielt.
Als ich um Mitternacht in Grevenmacher bei ca. Kilometer 90 ankam, war ich richtig müde und beschloss, mich eine halbe Stunde hinzulegen. Richtig schlafen konnte ich nicht, aber ich erholte mich ein bisschen von der Müdigkeit. Es ging dann weiter über den Potaschberg durch ein Industriegebiet, wo große Lastkraftwagen standen und pausierten. Es herrschte eine gewisse Horrorfilm-Szenerie, und als ein großer Laster plötzlich hinter mir fuhr, beschleunigte ich, um schnell auf den Fahrradweg zu gelangen. Es ging dann wieder weiter über endlose Feldwege, an alten leer stehenden Höfen sowie an einem Schlachthaus vorbei. Und immer wieder war es ein gutes Gefühl, den Camper zu sehen. Das gab mir eine gewisse Sicherheit.
Um 6 Uhr morgens kam ich auf einem Parkplatz im Syrdall an, wo ich eine Stunde Pause im Camper einplante. Um 7 Uhr traf ich mich dann mit zwei Läufern, die mich ca. drei Stunden begleiteten. Und während wir durch Luxemburg-Stadt liefen, ging die Sonne auf und der Nebel verzog sich. So verstrich die Zeit bis Kockelscheuer, wo Claude wieder mit dem Camper, Croissants und Café wartete.
Dann setzte ich meinen Weg alleine fort. Bei ca. Kilometer 130 lief ich durch den Wald in Bettenbourg und dort sah ich plötzlich ein mir bekanntes Gesicht, das ich aber nicht sofort einordnen konnte. Es war eine Arbeitskollegin von mir und irgendwie gab mir diese zufällige Begegnung einen Motivationsschub und ich freute mich so, jemanden zu sehen.
Einige Kilometer weiter wartete dann eine Läuferin, Chantal, auf mich und begleitete mich ein kleines Stück. Als ich nach 146 Kilometer Dudelange erreichte, erlebte ich ein richtiges Down. Ich kämpfte mit starker Müdigkeit und wusste nicht, wie ich weiterlaufen sollte. Ich holte mir Chips und Cola und saß mich auf eine Bank. Ich empfand diese Umgegend als richtig unschön. Plötzlich fing die Mülltonne neben mir an zu brennen und eine Verkäuferin mit einer Schüssel Wasser kam hinausgerannt und fragte, ob jemand bereits die Feuerwehr alarmiert hat. Ich empfand diese ganze Szene als so unrealistisch und skurril. Ich stand wieder auf und wollte nur da weg.
Dann lief ich aus Dudelange raus und musste ein Stück Autobahnauffahrt überqueren. Das muss unheimlich komisch ausgesehen haben für die Autofahrer. Dann ging es weiter durch den Obeler Wald und die Müdigkeit machte mir richtig zu schaffen. Chantal, die mich vorher kurz begleitet hatte, fragte, wann ich in Mondorf sein werde. Ich wusste zu dem Zeitpunkt nicht, ob ich überhaupt noch irgendwo ankommen würde. Ich hatte echt ein starkes Tief.
Ich hörte Musik und Tom Waits pushte mich immer weiter und weiter… „You got to hold on, hold on” lief auf Repeat. Dann lief mir Chantal noch einmal entgegen, mit einem eiskalten Spinat-Mango Smoothie. Schon vorher hatte sie mir Obst mitgebracht, da ich Probleme hatte, etwas zu essen. Ich freute mich so sehr über Chantals Begleitung und der Smoothie war exzellent. Der Spinat zeigte seine Wirkung, denn so kam ich etwas verfrüht in Mondorf an, wo ich dann weiterhin von zwei ganz netten Läuferinnen begleitet wurde bis nach Schengen.
Besonders war für mich auch, dass ich endlich meine ersten 100 Meilen schaffte. Doch es war noch nicht zu Ende, über 18km musste ich noch weiter. Es war richtig hart! Aber jetzt wollte ich es auch beenden. Zum Schluss verfiel ich in einen ruhigen, friedlichen Zustand – ich bewegte mich einfach nur noch Schritt für Schritt weiter, auf meinen schmerzenden Füßen. Aber auch das war nicht mehr schlimm. In Schengen wartete mein Bruder mit meinen kleinen Nichten auf mich. Darauf freute ich mich besonders. Und auch Asa Honn war anwesend, um mich in Schengen zu empfangen.
Ich lief den Jakobsweg (180km) in 31h45min und schaffte es, mich an meinen Zeitplan zu halten. Aber wie bereits gesagt, es war einfach genau der richtige Moment. Und dank der vielen Spenden konnte ich auch Asa Honn dabei unterstützen.
Ich möchte auch noch einmal allen lieben Menschen danken, die mich bei meinem Projekt unterstützt haben, sei es durch ihre Begleitung, Nachrichten während des Laufes oder Spenden.